Rüdiger Koch ist Betriebsratsvorsitzender a.D. bei Merz Pharma

Seine Personalpolitik: Der Mensch steht im Mittelpunkt

Führungskräfte sind für Dr. Rüdiger Koch von Merz Pharma Schlüssel für eine individualisierte Vereinbarkeit. Niemand weiß so gut wie sie, was ihre Beschäftigten brauchen – und welche Lösungen möglich sind.  

Herr Dr. Koch, Merz Pharma hat weltweit mehr als 2.700 Beschäftigte. Wie macht man für so viele individuelle Lebensentwürfe eine Personalpolitik?

Gute Personalpolitik stellt immer den Menschen in den Mittelpunkt. Der erste Schritt ist daher, die Lebensentwürfe der Beschäftigten überhaupt kennenzulernen. Mitarbeiterbefragungen sind ein Weg. Für sehr entscheidend halte ich aber auch die Führungskräfte einer Organisation. Sie haben in der Regel ein großes Wissen über die einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, weil meistens sie beim Thema Vereinbarkeit die erste Anlaufstelle für ihre Teams sind. Natürlich kann auch der Betriebsrat einiges tun, zum Beispiel informieren, Führungskräfte sensibilisieren oder darauf Einfluss nehmen, welche Themen Gegenstand einer Mitarbeiterbefragung werden. Seine Aufgabe ist insbesondere aber auch, Beschäftigte bei der Einbringung ihrer Wünsche und Lebensentwürfe zu unterstützen.

Welches Ereignis bzw. welche Beobachtung aus Ihrem Alltag hat Ihnen verdeutlicht, dass Lebensentwürfe bei der Umsetzung einer familien- und lebensphasenbewussten Personalpolitik eine entscheidende Rolle spielen?

Da war zunächst die Beobachtung, wie unterschiedlich Beschäftigte mit der Elternzeit umgehen. Manche Mütter kommen nach einem halben Jahr zurück und nutzen dann die betriebliche Krabbelstube für ihre Kinder, andere steigen über mehrere Jahre aus. Väter entdecken gerade ganz unterschiedlich die Chancen von Elternzeit. Bei der Pflege von Angehörigen haben wir Ähnliches festgestellt. Da reicht die Bandbreite vom vollständigen Ausstieg über eine Reduzierung der Arbeitszeit bis hin zu Vollzeit bei gleichzeitiger Nutzung von Pflegediensten und haushaltsnahen Dienstleistungen. Wir können nicht immer auf den ersten Blick nachvollziehen, warum sich manche Menschen so, und manche anders entscheiden. Karriereorientierung spielt eine Rolle, aber es geht auch um finanzielle Gründe, um örtliche Gegebenheiten und in vielen Fällen nicht zuletzt um ganz persönliche Dinge wie das familiäre Beziehungsgeflecht oder eigene Wertvorstellungen. Personalpolitik muss dazu natürlich nicht 1000 vorgegebene Lösungen anbieten. Aber sie soll und muss Lösungswege offen halten. Das kann sie nur, wenn sie die Vielfalt der Lebensentwürfe respektiert und angemessen einbezieht.

Wie ist diese Erkenntnis von da an in Ihre weitere Arbeit eingeflossen?

Zu beachten sind aus meiner Sicht zwei Linien. Die eine betrifft die Bereitstellung konkreter Instrumente, wie z.B. ein Basisangebot an Zeitmodellen, eine Kinderbetreuung oder eine Freistellungsregelung für die Pflege von Angehörigen. Dazu gehört auch ein Rahmen dafür, informelle Lösungen zu finden, die im Basisangebot (noch) nicht vorgesehen sind. Die zweite Linie betrifft die Unternehmenskultur. Angebot und Nachfrage nach Vereinbarkeit finden nur zusammen, wenn Beschäftigte offen über ihre Anliegen und diejenigen Aspekte ihrer Lebensentwürfe sprechen können, die den Bereich der Arbeit berühren. Dass das gelingt, hat wiederum viel mit guter Führung zu tun.

Wie sieht ein Ergebnis individualisierter Personalpolitik aus, von dem Sie sagen: Hier sind alle Interessen optimal ausbalanciert?

Aus meiner Sicht gibt es eine gute Balance dann, wenn sowohl die individuellen Bedürfnisse als auch die Arbeitsfähigkeit der Organisation und die Gleichbehandlung der Beschäftigten (und damit der Betriebsfrieden) berücksichtigt werden. Konkrete Instrumente stehen an zweiter Stelle. Es geht also immer um einen Kompromiss. Dem Aushandlungsprozess kommt dabei eine entscheidende Bedeutung zu. Jeder muss die gleiche Chance haben, mit seinen Bedürfnissen und Interessen wahrgenommen zu werden. Der Dialog zwischen Beschäftigten, Führungskräften, Personalabteilung und Betriebsrat braucht eine hohe Qualität. Meine Erfahrung ist, dass unter diesen Umständen in der Regel Lösungen entstehen, mit denen alle Seiten zufrieden sind – auch wenn zwischen Ideal und dem Möglichen eine Lücke bleibt.

Haben Sie für sich selbst eine solche Personalpolitik schon erlebt?

Ich habe an verschiedenen Stellen meines Berufslebens schon von einer solchen individualisierten oder am Lebensentwurf orientierten Personalpolitik profitiert, auch zu Zeiten, als diese Begriffe so noch gar nicht existierten. Das war immer sehr hilfreich. Auch meinen derzeitigen Übergang in den Ruhestand konnte ich mit dem Unternehmen unter Einbeziehung meiner Vorstellungen abstimmen. Unser gemeinsames Ziel und Interesse war es, noch verschiedene Projekte über meinen Rentenbeginn hinaus vollständig zum Abschluss zu bringen bzw. zur Übergabe vorzubereiten. Die Ausgestaltung des Übergangs in den Ruhestand ist auch ein Thema, bei dem Lebensentwürfe eine große Rolle spielen – und für das es bislang kaum Regelungen gibt.

Dr. Rüdiger Koch ist Betriebsratsvorsitzender a.D. bei der Merz Pharma GmbH & Co. KGaA.